einszueins (19) Franz John ‚Viva Maria‘

Franz John

vom 14. Mai bis 13. August 2022
Gespräch von Ulrich Enzensberger, Schriftsteller, mit Franz John am 25. Juni 2022 um 17 Uhr.

Polizeilicher Überwachungsbericht (Digitaldruck auf Rollenpapier, 280 x 220cm)
Klanginstallation (Kopfkissenlautsprecher, MP3-Soundloop)
Schema Edition: Auflösung der Wandarbeit in 263 Einzelkarten im Maßstab 1:1
Einzelkarte Nummer 176

Das Projekt einzueins – Kunst in der køniglichen Backstube hat sich bisher in zahlreichen künstlerischen Wandgestaltungen der Nutzung des Raumes als Bäckerei gewidmet. Mit dem Projekt Viva Maria von Franz John wird nun der ortsspezifische Charakter erstmals auf das weitere Umfeld – das Haus – und dessen spannende und bislang wenig bekannte Nutzungsgeschichte in den Jahren nach 1966 gelenkt: In den Ladenräumen rechts von der heutigen Backstube wurde eine illegale Druckerei betrieben, die Flugblätter, Plakate und Publikationen der mit der nach 1967 sich radikalisierenden Studentenbewegung in Verbindung stehenden „revolutionären Bewegung“ produzierte. 

Diese Aktion musste nicht nur wegen der Inhalte jener subversiven Schriften im Untergrund stattfinden; nach alliiertem Recht durften gar keine Druckmaschine in West-Berlin ohne offizielle Genehmigung betrieben werden. Die Druckmaschine, eine Rotaprint, gehörte der sogenannten „Subversiven Aktion“, einer Untergruppierung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), der Rudi Dutschke als Kopf der Bewegung vorstand. Die Neuköllner Druckerei war ein geheim gehaltener, getarnter Ort, der von einem Bewohner der Zwiestädter Straße 10, Dieter Kunzelmann, unter dem Pseudonym „Kurnitzky“ angemietet worden war. Kunzelmann war einer der führender Aktivisten der 68er-Bewegung und unter anderem Mitbegründer der Kommune I. 

Franz John macht nun die Geschichte des Ortes nachvollziehbar: Ein vertraulicher Bericht der politischen Polizei vom April 1967 dokumentiert Ermittlungen in der Zwiestädter Straße 10 und Observationen durch einen Kommissar Böhme. Diese Archivalie, die die gesamte Ausstellungswand einnimmt, wird begleitet von einer Hörstation. Hier ist ein Interview mit Ulrich Enzensberger, einst Gründungsmitglied der Kommune I, der die illegale Druckerei und die damaligen Aktivitäten gut kannte, zu erleben. In diesem Gespräch, das Franz John führte, ergeben sich Einblicke und interessante Details zur Hausgeschichte und dem Berliner Zeitgeschehen in den ausgehenden 1960er Jahren.

Martin Steffens 

*Der Projekttitel bezieht auf den Kultfilm der 68-er Bewegung. „Viva Maria“ von Louis Malle, mit Brigitte Bardot (als Terroristin) und Jeanne Moreau. Gleich zu Beginn sieht man Brigitte Bardot im mexikanischen Bürgerkrieg beim Sprengen eine Brücke. Titel und der Bezug zu Druckraum und Druckmaschine erklärt sich aus der in die Ausstellung integrierten Erzählung Ulrich Enzensbergers. 

Ausstellungsbesprechung im Facetten-Magazin Neukölln hier

einszueins – Kunst in der køniglichen Backstube ist ein Projekt von Kati Gausmann.