Zitat ‚Option Tanz, Performance und die Politik der Bewegung‘, André Lepecki

aus meinem Skizzenbuch von 2014:

„Gegen den Fluss des Präsenten gerichtet (…), steht ein Stillstand (stillness, A.L.) in der materiellen Kultur der Historizität; in jenen Dingen, Räumen, Gesten und Erzählungen, die die Wahrnehmungsfähigkeit für die elementare historische Schöpfung bedeuten. Stillstand ist der Moment, in dem das Begrabene, Entsagte und Vergessene sich der oberflächlichen Wahrnehmung entzieht wie der lebensnotwendige Sauerstoff. Es ist der Augenblick, in dem man aus dem Staub der Geschichte hinaustritt. Aus dem Staub der Geschichte hinaustreten heißt, sich der Sedimentierung der Geschichte in ordentliche Schichten zu verweigern. Der still-act zeigt, wie der Staub der Geschichte in der Moderne aufgewühlt werden kann, um die künstliche Trennung zwischen dem Sensorischen und dem Sozialen, dem Somatischen und dem Mnemonischen, dem Sprachlichen und dem Körperlichen, dem Bewegten und dem Unbewegten zu verwischen. Der Staub der Geschichte ist mehr als eine einfache Metapher. Wörtlich genommen zeigt er auf, wie die Kräfte der Geschichte tief in die inneren Schichten des Körpers eindringen. Der Staub sedimentiert den Körper, lässt die sanfte Drehung der Gelenke erstarren, fixiert das Subjekt innerhalb übermäßig vorgeschriebenen Pfaden und Schritten, hält die Bewegung in einer bestimmten Politik von Zeit und Ort gefangen. Es ist die experimentelle Choreographie durch das Paradoxon des still-act, die die Spannung im Subjekt skizziert, die Spannungen in der Subjektivität unter der Einwirkung der Kraft der historisch staubigen Sedimentierung des Körpers. Gegen die Brutalität des Staubs der Geschichte, der im wahrsten Sinne des Wortes auf die Körper fällt, formt der still-act die Position des Subjekts gegenüber der Bewegung und dem Vergehen der Zeit neu.

André Lepecki, Option Tanz, Performance und die Politik der Bewegung, New Yorck/ London 2006, deutsche Ausgabe: Theater der Zeit, Recherchen 50, Berlin 2008, Seite 27f

Fieldwork in Seyðisfjörður

‚mountain print 14/6/3)‘, gerollter Latex-Druck, Stempelfarbe auf Papier, 29,7 x 42 cm, Seyðisfjörður 2014

‚mountain print (14/2/1)‘, Frottage, Graphit auf Papier ca. 60 x 35 cm, Seyðisfjörður 2014

Zitat „Generelle Morphologie der Organismen“, Ernst Haeckel und „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehungen“, Hartmut Rosa

Aus meinem Skizzenbuch von 2014:

„Unter Oecologie verstehen wir die gesammte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle „Existenz-Bedingungen“ rechnen können. Diese sind theils organischer, theils anorganischer Natur; sowohl diese als jene sind, wie wir vorher gezeigt haben, von der grössten Bedeutung für die Form der Organismen, weil sie dieselbe zwingen, sich ihnen anzupassen.“

Ernst Haeckel: Generelle Morphologie der Organismen. Allgemeine Grundzüge der organischen Formen-Wissenschaft, mechanisch begründet durch die von Charles Darwin reformirte Descendenz-Theorie. Berlin, 1866; Bd. 2, S. 286. (Download in der Biodiversity Heritage Library), zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/Ökologie

Aus meiner aktuellen Lektüre:

„ (…) der zweite Teil (des Buches nimmt kg) die konkreten Formen und die sozialen Handlungs- und Erfahrungsfelder in den Blick, auf denen Subjekte unter den spezifischen Bedingungen der (spät-) modernen Gesellschaft Resonanz suchen und finden (…). Dazu unterscheide ich kategorial drei Formen von Resonanzbeziehungen, deren Differenz auf der jeweiligen Qualität des resonierenden Weltausschnitts beruht. Resonanzbeziehungen zu anderen Menschen bilden die horizontale Dimension der Resonanz, wie sie uns in Liebes- und Freundschaftsbeziehungen, aber – zumindest in der Neuzeit – auch in der Politik begegnet. (…) Resonanzbeziehungen zur materiellen Dingwelt (…) (suche kg) ich unter dem Begriff diagonaler Resonanzbeziehungen zu erfassen (…). Sie begegnen uns nicht nur in einer poetischen Einstellung zur Welt, in der sie ihren natürlichen Platz zu haben scheinen, sondern insbesondere auch auf den für die moderne Gesellschaft so relevanten Feldern der Arbeit und der Bildung. (…) Von diesen horizontalen und diagonalen Beziehungen unterscheide ich im letzten Schritt jene als responsiv erfahrenen Beziehungen zur Welt, zum Dasein oder zum Leben als ganzem, die wir als vertikale Dimension oder Resonanz bestimmen können, weil das dabei empfundene Gegenüber als über das Individuum hinausgehende Totalität erfahren wird. In vertikalen Resonanzerfahrungen erhält gewissermaßen die Welt selbst eine Stimme. Hier zeigt sich, dass die Moderne, deren kulturelles Selbstverhältnis nach dem Verlust metaphysischer Resonanzachsen im Sinne kosmologischer oder theologischer Resonanzordnungen und im Zuge der Herausbildung instrumenteller, rationalistischer und desengagierter Weltbeziehungen tendenziell stumm zu werden droht, ihre ganz eigenen, neuen Resonanzsphären gebildet hat, in denen Subjekte sich einer antwortenden Weltbeziehung vergewissern. Diese nämlich suchen und finden sie in den Sphären der Kunst, der Natur und der Geschichte. Moderne Formen der Religiosität und Spiritualität haben hier jedoch selbstredend ebenfalls ihren Platz.“

„Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“, Hartmut Rosa, Berlin 2016
Einleitung, Kapitel 1.4 „Der Gang der Untersuchung“, Seite 73ff

Frontiers in Retreat – Multidisciplinary Approaches to Ecology in Contemporary Art (2013 – 2018)

Diesen Blog beginne ich aufgrund meiner Teilnahme am europäischen AiR-Programm Frontiers in Retreat – Multidisciplinary Approaches to Ecology in Contemporary Art (2013 – 2018).

Kürzlich gestellte Fragen des Veranstalters:

Wie stellen Sie sich den Begriff „Grenzen“ vor? Was bedeutet er für Sie?

Für mich ist eine Grenze ein fließender Raum, der zwei oder mehr Bereiche zugleich verbindet und trennt. Eine Grenze ist eine menschliche Kategorie. Sie ist eine Frage des Standpunkts, des Blickwinkels. Die Erde hat keine Grenzen oder Begrenzungen, sondern ständig wechselnde Bedingungen.

Was sind für Sie die wichtigsten künstlerischen Methoden?

sein, beobachten, betrachten, zuhören, zeichnen, reflektieren, atmen, gestalten, verwerfen, träumen, tanzen, schreiben, kommunizieren, gehen, hinterfragen, Widersprüche aushalten, weitermachen, stillstehen

Wie würden Sie Ihr aktuelles Interesse und Ihre künstlerische Herangehensweise an das Thema „Ökologie“ beschreiben? Was ist Ihre Definition oder Ihr Blickwinkel zur Ökologie?

Für mich ist Ökologie der Raum zwischen der Menschheit und der Welt. Mit diesem Raum beschäftige ich mich seit langem, interdisziplinär, mit verschiedenen Techniken und Materialien. Ich möchte beides verstehen – den Menschen und die Welt – da ich davon überzeugt bin, dass wir die Welt brauchen, aber die Welt uns überhaupt nicht braucht. Es ist mir wichtig, die unterschiedlichen Zeitskalen des irdischen Lebens und der Erdgeschichte im Auge zu behalten. Ich möchte unsere zeitgenössischen Beziehungen und Reaktionen auf die „Erde“ oder „Natur“ verstehen und wie sie sich zu unseren Überzeugungen und Philosophien verhalten. Eine Herangehensweise ist es, näher zu kommen, zu berühren und nach Details zu suchen, eine andere ist es, sich zu lösen und nach einem Überblick zu suchen, innerhalb der Grenzen der menschlichen Existenz.

Erdrhythmen sind unserer menschlichen Erfahrung inhärent. Können sie sichtbar, wahrnehmbar gemacht werden? Das ist mein Wunsch.

Aus der Serie ‚flow‘

‚flow (14/01)‘, Textilfolie auf Wand, 400 x 230 cm, Städtische Galerie KUBUS, Hannover 2014

Wasser ist die einzige chemische Verbindung auf der Erde, die in der Natur als Flüssigkeit, als Feststoff und als Gas vorkommt. Es ist die Grundlage des Lebens auf der Erde – ein lebenserhaltender, tanzender Umstand.

Fieldwork Seyðisfjörður

‚mountain print (14/0/1)‘, Frottage, Graphit auf Papier, ca. 35 x 37 cm, Seyðisfjörður 2014

Manchmal, wie hier in einem frottierten Detail der Oberfläche eines der Berge, erscheint die Landschaft selbst.

Zitat ‚Lebende Erde – Facetten der Geologie Islands‘, Ari Trausti Gumunðsson

Island ist faktisch ein über das Meer ragender Teil der divergenten (auseinanderweichenden) Plattenränder, die ansonsten nur als untermeerische mittelozeanische Rücken des Nordatlantik ausgebildet sind. (…) Der Mittelatlantische Rücken erstreckt sich als sehr breite Schwelle auf 14 000 -15 000 km den Ozean entlang vom nördlichen Polarmeer bis südlich von Afrika. Die Schwelle ist Folge der Akkumulation vulkanischer Förderprodukte und der Drift der auf einer plastischen Schicht im Erdmantel schwimmenden Krustenplatten. Sie schleppen dabei die Kontinente im Osten (Europa, Asien, Afrika) und Westen (Süd- und Nordamerika) mit. (…) Auf dem isländischen Festland durchziehen die Plattenränder das Land in nordöstlicher Richtung. (…)

Knapp östlich der Landesmitte liegt das Zentrum eines im Nordatlantik seit langem aktiven Hot Spots, des isländischen Hot Spots. Er ist eigentlich das obere Ende eines vertikal aufsteigenden Stroms von Mantelmaterial (eines sogenannten Manteldiapirs), der heißer ist als das plastische und verhältnismäßig leichte Material, das entlang der Riftzonen und damit auch unter Island aufsteigt. Wo sich der Hot Spot und die Plattenränder überlagern, ist die Magmenproduktion und damit letztlich die Krustenaggregation so produktiv, dass die vulkanischen Förderprodukte eine große Insel auszubilden vermochten, quasi eine Verdickung der Erdkruste.“

aus: Lebende Erde – Facetten der Geologie Islands, Ari Trausti Gumunðsson, Reykjavik 2011, erste Ausgabe 2007, Seite 9ff

FIR-Residency in Seyðisfjörður, Island

Während meines ersten einmonatigen Aufenthaltes in Seyðisfjörður im Herbst 2014 begann ich, neben der Recherche, mit Frottage (eine grafische Technik) und mit dem Abformen von Teilen der Bergoberfläche. Diese Latex-Formen können als Druckstock verwendet werden. Ich bezeichne diese Arbeiten als ‚mountain print‘.

‚mountain print (15/08/02)’, gerollter Latexdruck, Stempelfarbe auf Papier, 29,7 x 42 cm, Kopenhagen 2015