Annäherung an Falten und Zitat ‚Die Falte zwischen Leib und Seele‘, Christian Schlueter

approaches to folding and folds:

  • A fold is a trace of movement. It has an inside and an outside as well as visible and invisible surfaces which are inseparably connected.
    Essential parts of our body are folded. Folded objects can be stored in a space-saving way. Folded clothes enfold while dancing.
  • Die Falte (german); the fold / the pleat (english); le pli (french)
    falten (german); to fold (english); plier (french), plicare (latin). Interesting derivations: complicare, explicare, replicare, implicare

    sorry, no english version!

    „Spätestens seit Descartes plagt sich nicht nur die Philosophie mit der Trennung von Leib und Seele. Entdeckte Descartes in der Seele als einem reinen, vollkommen entleerten Bewußtsein den Punkt höchster Selbstvergewisserung, das cogito, so fand er darüber nicht mehr so recht zur sinnlichen Welt und damit zum Körper zurück. Gilles Deleuze zeigt nun, daß es in der unmittelbaren Folge des cartesianischen Leib-Seele-Problems durchaus spannende Lösungsversuche gegeben hat, und führt neben Spinoza vor allem Leibniz ins Feld. Dessen Philosophie geht nicht mehr von der Trennung aus, sie unterscheidet nur, und das „Kriterium oder der operative Begriff“ dieser Unterscheidung ist die „Falte“ (französisch pli), ein Begriff, der in den deutschen Leibniz-Übersetzungen meist unterdrückt wird. Den Unterschied zwischen dem Seelischen und Leiblichen markiert also eine Falte, die ein Verhältnis reiner Äußerlichkeit und zugleich eine Verbindung beschreibt.
    (…)
    Deleuze entwirft das Bild eines zweigeschossigen Hauses, in dessen unterer Etage die Materie, in dessen oberer die Seele eingeschlossen ist. Allerdings gibt es in der unteren Etage durchaus Öffnungen, durch die sich ereignishaft ein Außen realisieren kann: Das Ereignis der Welt findet in der Materie seine Realisation, indem es sich als Faltung einschreibt, wie in ein Stück Marmor. Dabei ist es nie unmittelbar, sondern entfaltet, multipliziert sich bis ins Unendliche, bleibt also vermittelt, obwohl es mit einem Außen korrespondiert.In der oberen Etage hingegen, dem Wohnsitz der Seele und der Vernunft, findet das Ereignis der Welt nur seine Aktualisierung, das heißt, es tritt als schon Angelegtes nur klar und deutlich in Erscheinung. Zwischen den beiden Etagen, in den Faltungen der Materie, des Körpers und seiner Organe sowie in der in sich gefalteten Seele, findet sich nun abermals eine Falte: Leib und Seele sind durch sie unterschieden, und jede weitere Bestimmung dieses Unterschieds bedeutet nur eine weitere Entfaltung, die sich unendlich weiter treiben läßt, ohne den Unterschied selbst aufheben zu können. Die einzige Orientierung dieser Bewegung findet sich in der Ähnlichkeit zwischen den verschiedenen, sich vervielfältigenden, multiplizierenden Falten.
    Die Ähnlichkeit erweist sich in der Darstellung von Deleuze als das organisierende Prinzip, als eine Art konstitutiver Indifferenzpunkt in Leibniz‘ Philosophie und der des Barock überhaupt (…).“
    Christian Schlueter, Die Falte zwischen Leib und Seele, 17. November 1995 in DIE ZEIT, 47/1995; letzter Aufruf am 16.03.2017 unter http://www.zeit.de/1995/47/Die_Falte_zwischen_Leib_und_Seele/komplettansicht