aus meinem Skizzenbuch von 2014:
„Gegen den Fluss des Präsenten gerichtet (…), steht ein Stillstand (stillness, A.L.) in der materiellen Kultur der Historizität; in jenen Dingen, Räumen, Gesten und Erzählungen, die die Wahrnehmungsfähigkeit für die elementare historische Schöpfung bedeuten. Stillstand ist der Moment, in dem das Begrabene, Entsagte und Vergessene sich der oberflächlichen Wahrnehmung entzieht wie der lebensnotwendige Sauerstoff. Es ist der Augenblick, in dem man aus dem Staub der Geschichte hinaustritt. Aus dem Staub der Geschichte hinaustreten heißt, sich der Sedimentierung der Geschichte in ordentliche Schichten zu verweigern. Der still-act zeigt, wie der Staub der Geschichte in der Moderne aufgewühlt werden kann, um die künstliche Trennung zwischen dem Sensorischen und dem Sozialen, dem Somatischen und dem Mnemonischen, dem Sprachlichen und dem Körperlichen, dem Bewegten und dem Unbewegten zu verwischen. Der Staub der Geschichte ist mehr als eine einfache Metapher. Wörtlich genommen zeigt er auf, wie die Kräfte der Geschichte tief in die inneren Schichten des Körpers eindringen. Der Staub sedimentiert den Körper, lässt die sanfte Drehung der Gelenke erstarren, fixiert das Subjekt innerhalb übermäßig vorgeschriebenen Pfaden und Schritten, hält die Bewegung in einer bestimmten Politik von Zeit und Ort gefangen. Es ist die experimentelle Choreographie durch das Paradoxon des still-act, die die Spannung im Subjekt skizziert, die Spannungen in der Subjektivität unter der Einwirkung der Kraft der historisch staubigen Sedimentierung des Körpers. Gegen die Brutalität des Staubs der Geschichte, der im wahrsten Sinne des Wortes auf die Körper fällt, formt der still-act die Position des Subjekts gegenüber der Bewegung und dem Vergehen der Zeit neu.“
André Lepecki, Option Tanz, Performance und die Politik der Bewegung, New Yorck/ London 2006, deutsche Ausgabe: Theater der Zeit, Recherchen 50, Berlin 2008, Seite 27f